Z: Wart ihr vor SEABOUND schon musikalisch aktiv?

Wir haben beide bereits vor SEABOUND Musik gemacht. Während Martin jedoch in den Achtzigern zunächst in einer Punkband gespielt hat und erst Anfang der 90er ins elektronische Lager wechselte, mache ich seit ca. 1990 unter wechselnden Projektnamen elektronische Musik.

Z: Mit der Single "Travelling" habt ihr einen echten Kracher am Start, der sehr eigenständig klingt. Einfacher wäre es sicher gewesen, wenn ihr, wie viele andere, die Erfolgsrezepte von VNV Nation oder Covenant einfach kopiert hättet. Hattet ihr darauf einfach keine Lust? Wie wichtig ist euch eine eigene musikalische Identität?

Wir haben ein hohes Anspruchsniveau an uns selbst und wollten von Anfang eine eigenständige Identität entwickeln. Unsere Musik ist rein elektronisch, aber VNV Nation oder Covenant zu kopieren ist in meinen Augen völlig sinnlos, weil beide Bands in ihrem Bereich sehr gut sind.Wir haben dagegen den Anspruch, intelligente und facettenreiche elektronische Musik zu machen, die auch tanzbar ist und "knallen" kann. Insgesamt wäre "Futurepop" aber wohl ein ganz treffender Begriff, weil die Songs und auch die Texte vielschichtiger sind als das, was ich von vielen aktuellen Newcomern höre, die sich in ihren Songs ausschließlich als 4-on-the-floor Clubacts präsentieren. Es ist uns sehr wichtig, dass die Musik Gehalt hat und verschiedene Ebenen anspricht.

Z: Welche Story erzählt der Song "Travelling"?

In Travelling, dem Titelstück unserer ersten Maxi-CD, geht es darum, was Menschen tun, um dem Wahnsinn zu entfliehen, dem wir ins Auge blicken, wenn wir die Frage nach dem Sinn unserer Existenz zulassen. Als Psychologe habe ich ein besonderes Interesse daran, wie sich andere Menschen mit der Sinnlosigkeit ihrer Existenz arrangieren. Eine gute Fluchtmöglichkeit besteht in einer ausschweifenden Phantasie. Eine andere Variante ist das romantische Ideal von Zweisamkeit und Erfüllung und dem "magischen Moment" zwischen zwei Menschen.

Z: Verfolgt ihr mit SEABOUND ein bestimmtes Ziel oder einen bestimmten Anspruch?

SEABOUND bedeutet "auf's Meer hinausfahren" und ist eine Metapher dafür, dass wir uns vom Beginn unseres Lebens auf unsicherem Terrain bewegen. Unsere Musik will die damit verbundene Vielschichtigkeit widerspiegeln: die Romantik, die wir auf See empfinden können ebenso wie die Entschlossenheit, wenn wir ein Ziel ansteuern oder die Todesangst, die wir haben können, wenn wir befürchten müssen, unterzugehen.
Musik zu machen bedeutet für mich die Umsetzung sehr persönlicher Gefühle. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass ich ein Leben ohne Musik als Ausdrucksmöglichkeit kaum erträglich finden würde. Außerdem bin ich sicher, dass sie eine Reihe von Menschen davor bewahrt, die Gesellschaft in sehr zerstörerischer Weise heimzusuchen: Charles Manson, der Ende der 60er Jahre durch die Morde der Manson Family zu trauriger Berühmtheit gelangte, war ein ambitionierter Musiker und ist in meinen Augen ein gutes Beispiel dafür. Wenn Du Dich mit seiner Biographie auseinandersetzt, kommst Du irgendwann an den Punkt, an dem Du Dich fragst, was alles anders verlaufen wäre, wenn Manson als Musiker erfolgreicher gewesen wäre.

Z: Zu welcher Beschäftigung, Tätigkeit eignet sich "No Sleep Demon" als ideale Hintergrundmusik?

Ich glaube, unsere Musik erreicht Dich eher, wenn Du ärgerlich oder traurig bist. Ich finde sie selbst oft anstrengend, deswegen läuft unsere eigene Musik bei mir selten im Hintergrund.

Z: Was ist an Schlaflosigkeit cool und was schlimm?

Wenn Du über Wochen Schwierigkeiten hast einzuschlafen, verändert sich Deine Wahrnehmung der Realität. Einerseits hast Du Angst vor der Nacht, weil sie Dir sehr eindringlich vor Augen führen kann, dass Deine Gedanken stärker sind als Du und Du letztlich machtlos bist gegen die Dämonen, die aus Dir entspringen. Anderseits ist die Nacht eine sehr intensive Zeit, in der Wahrnehmung und Gefühle viel mächtiger sind als bei Tag. Ich habe mir oft vorgestellt, wie es wäre, ein reiner Nachtmensch zu sein. Zeiten intensiver Schlaflosigkeit machen Dich in gewisser Weise zu einem Vampir auf Probezeit.

Z: Welche Gefühle fließen in die Musik von SEABOUND mit ein?

Bei dieser Frage muss ich an AVALOST, ein ruhigeres Stück von der Travelling-Maxi, denken. In AVALOST geht es darum, dass jemand aufbricht und eine unendlich weite Reise (nach New Found Land) antritt, um dort einen Menschen aus einem Traum zu treffen. Die Reise endet damit, dass diese Traumgestalt nicht da ist und die Hauptfigur zu den vorbeiziehenden Eisbergen ins Wasser geht. Das Stück drückt ein unglaublich starkes Verlangen aus nach Erfüllung aus. Gleichzeitig wirkt der Gesang bisweilen so, als beschreibe die Hauptfigur ihre Geschichte rückblickend. AVALOST gehört zu den Stücken, die mich stark bewegen, weil sie "gefühlsecht" sind.

Z: Welche Schlagzeile würdet ihr gerne einmal über euch lesen?

"SEABOUND-Album 'No Sleep Demon' zur Anti-Aggressionstherapie bei Hannibal Lecter erfolgreich getestet!"
Klingt gut, oder? Lecter (Das Schweigen der Lämmer, Hannibal) ist zwar eigentlich ein sehr beherrscht agierender Killer, aber mich würde sehr interessieren, wie ein solcher Mensch auf unsere Musik reagieren würde. Auf unserem ersten Demo befindet sich das Stück "Murder", in dem die Geschichte von Edmund Kemper thematisiert wird, der Anfang der 70er Jahre in den USA 10 Menschen getötet hat, darunter seine Mutter, deren abgetrennten Kopf er als Dart-Scheibe verwendete, bevor er sich der Polizei stellte. Da wir in "Murder" Samples von Kemper verwenden, habe ich Kontakt zu ihm aufgenommen. Allerdings steht eine Antwort bislang aus.

Z: Es kommen jeden Monat wahnsinnig viele neue CDs auf den Markt. Warum sollten die Leute unbedingt SEABOUND kaufen?

Die Leute sollen nicht SEABOUND kaufen, weil man SEABOUND nicht kaufen kann, wir sind unverkäuflich. Aber "No Sleep Demon" kann man jetzt kaufen. Das Album hat sehr viel Tiefe, man kann es sehr oft hören, und entdeckt immer wieder neue Facetten, wie bei einem wirklich guten Film: Erst beim dritten Mal versteht man ihn ganz, dann geht er einem aber nicht mehr aus dem Kopf. Wer "Angel Heart" mochte, wird auch "No Sleep Demon" mögen.

Z: Verfolgt das Album eine thematische Linie?

Musikalisch treten wir an, um die elektronische Musikszene um eine neue Spielart zu bereichern, ähnlich wie die frühen Haujobb oder auch Skinny Puppy, auch wenn wir musikalisch natürlich nicht vergleichbar sind und wohl auch sehr viel stärker "Future POP" sind. Aber auch uns geht es darum, Atmosphäre und Tiefe zu erzeugen, und dabei Leute gleichzeitig geistig und körperlich zu bewegen. Thematisch steht im Zentrum von SEABOUND die Zerrissenheit der menschlichen Psyche: Du bist auf der Suche nach Zweisamkeit und gleichzeitig möchtest Du Dich anderen Menschen hingeben. Oder Du hast das Bedürfnis nach Sicherheit und gleichzeitig faszinieren Dich Gewalt und menschliche Abgründe. Ich bin Psychologe. Was glaubst du wie es in meinem Kopf aussieht? Das Album ist die Antwort darauf.

Z: Jeder Mensch ist auf der Suche nach irgend etwas (Liebe, Geld, Familie, etc). Was sucht ihr? Was sind für euch die 5 wichtigsten Dinge im Leben?

Ich möchte gerne mit interessanten und außergewöhnlichen Menschen zusammentreffen und - wenn es sich ergibt - auch künstlerisch zusammenarbeiten. So war die Zusammenarbeit mit Eskil Simonsson (Covenant) für uns nicht nur musikalisch sondern auch menschlich eine sehr inspirierende Begegnung. Die beste Antwort auf diese Frage wäre aber vermutlich ohnehin "Wir suchen Erfüllung", weil es den Weg offen lässt, wie Du dorthin gelangst.

Z: Pläne für 2001? SEABOUND Live?

Zunächst sind wir sehr gespannt auf die Reaktionen, wenn das Album erscheint. Es hat Anfragen gegeben, andere Bands zu mixen, was wir bestimmt machen werden. Bislang haben wir das jedoch zurück gestellt, um die Arbeiten am Album zeitgerecht abzuschließen. SEABOUND live ist ein Herausforderung, der wir uns stellen wollen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das Release des "No Sleep Demon"-Albums im Mai ist jedoch vorrangig, so eine Art musikalische Geburt oder "in See stechen": eben SEABOUND.